Lkw-Fahrer, die in Calais mit der Fähre oder via Eurotunnel nach Großbritannien fahren, berichten von stark anwachsenden Flüchtlingszahlen. Immer mehr Menschen versuchten als blinde Passagiere auf den Ladeflächen der Lkw illegal nach Großbritannien auszuwandern. Mehrere hundert Flüchtlinge lagern zu jeder Tageszeit in der Nähe der Fährterminals und am Eurotunnelterminal, um ihre „Chance“ zu nutzen.
Die ohnehin schwierige Situation verschärft sich aktuell durch das hohe Transportaufkommen und die damit verbundenen Rückstaus vor den Terminals. Selbst am helllichten Tag versuchen ganze Menschengruppen, einzelne Lkw regelrecht zu entern. Um in die wartenden Lkw einzudringen, werden Schlösser und Plomben der Lkw aufgebrochen und die Ladung teilweise aus dem Lkw herausgeworfen. Immer häufiger verweigern deshalb Warenempfänger in Großbritannien die Annahme, wenn die Warenanlieferung unvollständig, beschädigt oder durch Exkremente beschmutzt ihr Ziel erreicht. Besonders problematisch sind in diesem Zusammenhang Lebensmitteltransporte.
Die prekäre Situation wird immer bedrohlicher, weil in jüngster Zeit Fahrer von Flüchtlingen auch mit Gewaltanwendung bedroht werden, sofern sie sich gegen ein Eindringen auf die Ladeflächen wehren. Dem BGL liegen Meldungen vor, wonach Lkw mit Steinen beworfen oder die Reifen aufgeschlitzt werden. Nicht wenige Fahrer fürchten um Leib und Leben und weigern sich, weiterhin Englandtouren zu übernehmen.
Obwohl diese chaotischen Verhältnisse den Kontrollbeamten bekannt sind, stehen Fahrer und Unternehmen unter gewaltigem behördlichem Druck. Finden die britischen Einwanderungsbehörden „Illegale“ auf dem Fahrzeug, so werden Fahrer und Unternehmen rechtlich wegen Menschenschmuggels wie gemeine Schlepperbanden belangt. Eine Unschuldsvermutung sieht die britische Gesetzgebung nicht vor. Vielmehr müssen Fahrer bzw. Unternehmer den britischen Behörden nachweisen, alle Maßnahmen getroffen zu haben, um ein Eindringen der Flüchtlinge zu verhindern. Gleichzeitig ist die französische Polizei offensichtlich nicht bereit oder in der Lage, Fahrer und Fahrzeuge vor Übergriffen zu schützen. Angesichts der großen Anzahl von Menschen, die versuchen auf die wartenden Lkw zu gelangen, gibt sich die Polizei meist machtlos und schaut bei Übergriffen auf Fahrer weg.
Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V. hat in einem Schreiben an das Auswärtige Amt sowie an das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur eindringlich auf die angespannte Situation in Calais hingewiesen. Die Ministerien wurden darin gebeten, alle notwendigen Schritte zu ergreifen, um „gemeinsam mit den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland alles zu unternehmen, damit die körperliche Unversehrtheit der Fahrer gewährleistet und das Eigentum der Unternehmen wirksam geschützt wird.“ Eine schnellstmögliche Unterstützung der französischen Behörden sei dringend vonnöten.
Des Weiteren hat der BGL die deutsche Regierung auf das zweifelhafte britische Einwanderungsrecht, das Lkw-Fahrer und Unternehmen grundsätzlich haftbar macht, sobald „Illegale“ auf dem Fahrzeug gefunden werden, hingewiesen. Angesichts der Situation, der die Fahrer vor Ort ausgesetzt sind, ein ebenso menschenverachtendes wie unangemessenes „Grenzschutzregime“.