BGL sieht Präzedenzfall für andere EU-Mitgliedsstaaten
Im Mai 2016 hat die Tiroler Landesregierung – bereits zum dritten Mal – eine Verordnung für ein „Sektorales Fahrverbot“ auf der Inntalautobahn für den Transport bestimmter Güter verabschiedet, das nunmehr Anfang November in Kraft trat. Zwei vorherige Einführungsversuche waren jeweils am Europäischen Gerichtshof (EuGH) gescheitert, weil damit die Freiheit des Warenverkehrs innerhalb der EU in unangemessener Weise beeinträchtigt worden wäre. Da der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V. ebenso wie europäische Schwesterverbände und die IRU (International Road Transport Union in Genf) fest davon überzeugt sind, dass auch die aktuelle Verordnung – ebenso wie ihre „Vorgänger“ – gegen EU-Recht verstößt, hatten die Verbände die Europäische Kommission erneut aufgefordert, Klage vor dem EuGH zu erheben. Durch Antrag auf eine Einstweilige Verfügung beim EuGH hätte ein Inkrafttreten des Sektoralen Fahrverbots rechtzeitig verhindert werden können.
Zwar reichte die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich ein. Da jedoch die Tiroler Landesregierung seit Ende Oktober zugesteht, Fahrzeuge der modernsten Emissionsnorm Euro VI „vorläufig auf Dauer“ und Euro V-Fahrzeuge bis Ende April kommenden Jahres vom Fahrverbot auszunehmen, sieht die zuständige Generaldirektion der Europäischen Kommission darin eine zufriedenstellende Lösung. Damit ist es Tirol zunächst gelungen, eine erneute Vorlage seines Sektoralen Fahrverbots vor dem EuGH zu verhindern.
Das grundsätzliche Problem ist durch die Ausnahmeregelung aber keineswegs vom Tisch. Die Folge dieser Entscheidung ist gravierend: Ab Mai nächsten Jahres sind auf der einen Seite Transporte von Abfall, Steinen und Erden, Aushub, Rundholz, Kork, Kraftfahrzeugen, Nichteisen- und Eisenerzen, Stahl, Marmor, Travertin und keramischen Fliesen in Fahrzeugen mit Euro 0 bis Euro V-Motoren verboten. Dabei gehören speziell Fliesen oder Fahrzeuge zu hochsensiblen Waren, die einer besonderen Pfleglichkeit bei der Transportdurchführung bedürfen und aus guten Grunde auf der Straße befördert werden. Auf der anderen Seite dürfen auch künftig im höchst umweltsensiblen Inntal die schadstoffreichsten alten Lkw fahren, solange sie Güter anderer Branchen befördern oder sogar leer unterwegs sind. Und um diese Widersprüchlichkeit noch zu „toppen“, hat die Tiroler Landesregierung signalisiert, die Luftverschmutzung in Tirol im Jahr 2018 daraufhin zu überprüfen, ob die Luftwerte auch ohne Sektorales Fahrverbot eingehalten werden könnten. Alle Erfahrungen sprechen dafür, dass dann selbst Euro VI-Lkw vom Fahrverbot betroffen wären.
Spätestens dann wäre es völlig gleichgültig, wie umweltschonend oder -verschmutzend ein Lkw durch das Inntal fährt – allein der Inhalt des Lkw würde darüber entscheiden, ob diese Fahrt (aus Umweltgründen!) erlaubt ist oder nicht. Eine derartige Beschränkung des Warenverkehrs – so der BGL – kann und darf nicht mit Umweltgründen gerechtfertigt werden!
Ganz sicher würde diese Art der protektonischen Verkehrspolitik „Schule machen“. Andere Regionen in den EU-Mitgliedsstaaten blicken schon heute gespannt auf diese „Lex Austria“. Unter dem Deckmantel „Sektorales Fahrverbot“ wäre es mittels nationaler Regelungen möglich, ganze Warengruppen vom internationalen Warenverkehr auszuschließen und die freie Wahl des Verkehrsträgers endgültig politisch mit Willküranspruch zu unterbinden. Ob dies tatsächlich zum „Schutz der Umwelt“ geschieht, ist mehr als zweifelhaft. Im Gegenteil: Ein neues Instrument zum Aufbau von Handelshemmnissen, z.B. um die heimische Wirtschaft zu schützen oder Eisenbahnprotektionismus zu betreiben, könnte in Zeiten zunehmend nationalistischer Tendenzen in Europa die europäische Vision eines „einheitlichen Binnenmarktes“ schon bald endgültig zu Fall bringen. In jedem Fall werden Verbraucher und Arbeitnehmer, deren Job vom freien Warenverkehr abhängig ist, die Folgen zu spüren bekommen.